Ich weiß nicht, wieso die Sprache jetzt auf Bombenschäden kommt. Bombenschaden ist nicht gleich Bombenschaden: Ich weiß von meinen älteren Verwandten, dass der Kastner noch nach dem Krieg eine Art Halle wie jetzt, zwar noch prunkvoller, aber halt ohne Rolltreppen besaß. Ich gehe nicht davon aus, dass der Kastner einen Total-Bombenschaden erlitten hat, sondern dass die Beschädigungen in den ersten Jahren nach dem Krieg bald geflickt waren und, wie meist üblich,
dem Bestand entsprechend wiederhergestellt bzw. ergänzt wurden. (Schließlich wurde ja in Graz kein systematisch geplanter und maschinell umgesetzter Feuersturm durch abgeworfene Brandbomben wie z.B. in Hamburg oder Dresden angerichtet, wo ganze Stadtviertel tagelang lichterloh brannten, sodass Steine schmolzen und die Bewohner sogar in ihren "Luftschutzkellern" noch vor Hitze regelrecht gebacken wurden, wenn sie nicht überhaupt zu winzigen Aschehäufchen verglühten. Es ist mir nicht bekannt, dass in Graz ganze Stadtbezirke wie etwa Hammerbrook [Hamburg] praktisch ausradiert und deren kindliche bis greise Bewohner zu Zehntausenden ohne Chance auf Flucht darin gegrillt wurden und Häuserblock für Häuserblock bis auf die Grundmauern ausglühte, sodass sogar sämtliche Dokumente jemals existierender Familien mitausgelöscht wurden, und wo Mütter, die mit ihren Kindern trotz allem zu flüchten versuchten, im heißen Straßenasphalt kleben blieben und langsam rettungslos verschmorten wie Fliegen im heißen Kerzenwachs... Man lese mal bei Ralph Giordano nach, einem jüdischen Buben, der damals in Hamburg lebte.)
Die im Gegensatz dazu überwiegend milderen Grazer
Bombenschäden wurden zumeist also stilentsprechend repariert und nicht wie die oben genannten Städte teilweise nur noch niederplaniert, da es ohnehin kaum Überlebende gab. An vielen vermeintlich gut erhaltenen Gebäuden mahnt uns in Graz eben noch eine schwarze Tafel in der Nähe des Hauseingangs.
Was also das Argument mit den Bombenschäden aussagen sollte, ist mir nicht ganz klar. Das alte Kastnerdach war keine architektonische Offenbarung, da dessen Neigung zu flach war und die einzelnen Satteldachstreifen allzu gleichförmig für deren städtebauliche Umgebung waren. Dennoch war rücksichtsvoll die Firstrichtung der existierenden, jahrhundertealten Gebäude (normal auf den Verlauf der Sackstraße) bewusst aufgenommen worden und das ziegelgedeckte Kastnerdach verschmolz bei flüchtigerem Hinsehen mit der ursprünglichen Dachlandschaft zu einem Ganzen.
Wenn man Architektur nur mehr durch Rationalität und Praktikablen bewertet, so müsste die ganze Herrengasse, bzw sämtliche Gebäude dort,als Schrott bezeichnet werden.
Bis zur welchen Zeit ist es denn genehm, die Neigung der Dächer nachzubauen? 17 Jhd? 1917?
Die gesamte Herrengasse ist seinerzeit sowohl rational als auch praktikabel gebaut worden. Darüber hinaus durfte damals auch noch fürs Auge ein bisschen Zierrat an die Fassaden. Dieser Zierrat wird damals wie heute auch von nicht architektonisch Ge-/ Verbildeten als "schön" empfunden. Was soll daran "Schrott" sein?
Was sollen denn übrigens die Jahreszahlen?
Seit den Anfängen der Besiedelung in unserem Raum, ob Häuser mit Moos, Stroh, Holzschindeln, Steinplatten oder Dachziegeln gedeckt wurden: Es waren stets Dachneigungen zwischen 40 und 60 Grad (Kirchtürme ausgenommen), nur selten davon abweichend. Gott sei Dank endete der Zweite Weltkrieg noch bevor Graz das Schicksal eines solchen systematisch geplant herbeigeführten Feuersturmes ereilen konnte und die historische Stadt blieb großteils erhalten, wenn auch da und dort beschädigt.
Warum soll also die Ensemblewirkung einer über Jahrhunderte durch Zu- und Umbauten so entstandenen Umgebung mit aller Gewalt und Raffinesse gestört werden? Sollte man nicht viel eher froh über die Existenz solch selten gewordener architektonischer Umgebungen sein und lieber deren
Ensemblewirkung mehren, indem Neubauten an diesen ausgewählten Punkten sich bewusst einordnen und deren Charme und Flair aufnehmen?
Als Spielwiese für architektonische Experimente und Absurditäten müssen sowieso schon die industriell und standardisiert hergestellten Außenbezirke und Trabantenstädte herhalten. Was also ist das wahre Motiv, einzigartige und nicht wiederherstellbare Altstädte zu konterkarieren? Ein in der Kindheit misshandeltes, verkanntes, beleidigtes Architekten-Ego?