Das Ringen um den Fluss der GrazerWie hochwertig ist die Mur in Graz? Darüber gehen hinter den Kulissen der Kraftwerksprojekte die Wogen hoch.
Seit die Kleine Zeitung im vergangenen Sommer enthüllt hat, dass die Energie Steiermark in Graz-Puntigam ein Mur-Kraftwerk bauen will, gehen die Wogen rund um die geplante Staustufe hoch. Wird das Kraftwerk mit seinen vier Schwesteranlagen im Norden und Süden der Stadt dem Fluss massiv schaden, wie Naturschützer warnen, oder wertet es ihn auf, wie es der Landesenergieversorger voraussagt?
Noch im Sommer will die Energie Steiermark das Projekt einreichen. Unter der Oberfläche läuft indes ein Ringen darum, wie der derzeitige ökologische Zustand der Mur im Stadtgebiet zu bewerten ist.
Gesetzlich gilt, dass ein Wasserkraftwerk die Qualitätsstufe eines Flusses nicht herabsetzen darf. Da liegt es naturgemäß im Interesse eines Kraftwerksbauers, dass die ökologische Ausgangslage des Gewässers moderat angesetzt wird. So wandte sich die Energie Steiermark schon im vergangenen Herbst mit einer Stellungnahme zum neuen Gewässerbewirtschaftsungsplan an das Lebensministerium. Das Ansuchen: Die Mur möge im Raum Graz als "erheblich veränderter Wasserkörper" ausgewiesen und der ökologische Zustand als "unbefriedigend oder zumindest mäßig" bewertet werden, heißt es in dem Anwaltsbrief. Die "richtige Einstufung der Mur im Projektgebiet" sei für die Mandantin (die Energie Steiermark, Anm.) "von höchster Bedeutung".
Hintergrund der Aktion war eine Probebefischung der Mur in Graz, welche Experten der Uni für Bodenkultur (Boku) 2007 im Landesauftrag durchführten. Das Ergebnis überraschte selbst die Fachleute: Von den sechs Leitfischarten wurden fünf mit guten Beständen nachgewiesen. Die Sachverständigen empfahlen, die Mur zwischen Weinzödl und Puntigam von der derzeitigen Einstufung "mäßig" auf die Kategorie "gut" zu heben.
Diese Aussicht alarmierte die Kraftwerksplaner, die beim Klagenfurter Ökologen Hans Sampl ein zweites Gutachten beauftragten und dem oben zitierten Anwaltsbrief ans Ministerium beifügten. Sampl beruft sich darin auf andere Befischungen und verweist darauf, dass die Boku-Experten nur die Ufergebiete befischt hätten. Zudem sei der Murwasserspiegel seit den Regulierungen im 19. Jahrhundert an der Hauptbrücke um 3,7 Meter abgesunken. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, warum die Mur im Stadtgebiet "nicht als erheblich veränderter Wasserkörper ausgewiesen ist". Die Kriterien eines "guten Zustands" seien, wie bisher gehabt, nicht zu erfüllen.
Geharnischte Kritik
Eine Expertise, die die Fachleute der Boku so nicht hinnehmen wollten. In einem geharnischten offenen Brief weist Institutsvorstand Mathias Jungwirth die Aussage, man habe nur die Uferstreifen befischt, "aufs Schärfste zurück". Die Fließstrecke im Stadtgebiet sei stark verändert, dennoch sei die Mur in einem "guten ökologischen Zustand". Es sei "völlig unverständlich und unakzeptabel", dass Sampl versuche, methodisch einwandfreie Ergebnisse "ins falsche Licht zu rücken".
Um Klarheit zu bekommen, veranlasste das Land eine neuerliche Befischung der Mur. Seit vergangener Woche steht fest: Die Befischung bestätigt den Befund der Boku. Die Mur wird - knapp aber doch - als "gut" eingestuft. "Das wird wohl so bleiben", räumt Sampl ein. In seinem eigenen Gutachten habe er sich ausschließlich auf die bis dahin vorhandenen offiziellen Daten des Landes berufen. Und diese hätten eben den "mäßigen Zustand" ergeben.
Mittlerweile hat der Ökologe eine neue Untersuchung fast fertiggestellt: das offizielle ökologische Einreichgutachten für das Kraftwerk. Bei der Energie Steiermark geht man davon aus, dass die Anlage auch den nunmehr guten Zustand der Mur nicht herabsetzen werde.
Wird das durch das Gutachten bestätigt, was allgemein erwartet wird, liegt der Ball bei den Prüfern im UVP-Verfahren. Doch selbst eine negative Beurteilung wäre für die Energie Steiermark kein Weltuntergang. In diesem Fall bleibt noch der Umweg über den Paragrafen 104 a des Wasserrechts, über den ein "übergeordnetes öffentliches Interesse" am Kraftwerk festgestellt werden kann. Dann darf trotzdem gebaut werden.
GÜNTER PILCH
Rückkehr zur alten Mur?Die Grazer Mur hatte bis ins späte 19. Jahrhundert ein anderes Gesicht, als man es heute kennt. Damals folgte der Fluss in der Landeshauptstadt seinem natürlichen, kurvigeren Verlauf. Die Wasseroberfläche lag um mehrere Meter höher als heute und war im damaligen Stadtbild präsent. 1874 begannen groß angelegte Regulierungen, die die Mur in ihr heutiges kanalartiges Bett zwängten. Die Fließgeschwindigkeit erhöhte sich, die Mur grub sich quasi ein. "Mit dem Kraftwerksprojekt Puntigam soll der Fluss wieder an seine ursprüngliche Struktur herangeführt werden", sagt Energie-Steiermark-Sprecher Urs Harnik-Lauris. Der derzeitige Zustand sei in Wahrheit der wesentlich unnatürlichere, wie auch Gutachter bestätigen würden. Zudem werde sich die Wasserqualität durch die parallele Kanalerneuerung bessern.
GÜNTER PILCH
Fingerspitzengefühl
Für die einen ist es die sauberste Form der Stromgewinnung, für die anderen eine ökologische Sünde. Welches Gesicht hat sie nun wirklich, die Wasserkraft?
Beide Standpunkte sind argumentierbar, beide konzentrieren sich aber nur auf jeweils eine Gesichtshälfte der Stromerzeugung an den Flüssen.
Wünschenswert wäre eine ehrliche, ganzheitliche Diskussion. Ja, selbstverständlich bedeutet auch das ökologischste aller Wasserkraftwerke einen Eingriff in die Natur. Dasselbe gilt für fast jede Windturbine. Und erst recht - wenn auch aus anderen Gründen - für Kohle- oder Atomkraftwerke.
Nur hat die Wasserkraft den wichtigen Vorteil, Strom weitgehend CO2-frei zu erzeugen. Die entscheidende Frage bei jedem einzelnen Projekt muss daher sein: Wiegt dieser Vorteil die direkten ökologischen Einschnitte auf?
Zur Beantwortung dieser heiklen Frage ist Fingerspitzengefühl gefragt. Der sorgenvolle Blick auf den lokalen Naturraum alleine reicht dafür, so unverzichtbar er auch ist, nicht aus.
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GÜNTER PILCH
quelle:
http://www.kleinezeitung.at/steiermark/2373099/ringen-um-den-fluss-grazer.story