Görlitz | Teil 2: Stammstrecke und Innenstadtsperre

Begonnen von flow, 31 10, 2024, 22:11

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flow

Nach einer erholsamen Nacht sollte am ersten Tag in Görlitz einmal Streckenkunde betrieben und das Netz der Straßenbahn ohne konkreten Plan erkundet werden. Das Wetter war nicht gerade vielversprechend, aber was willste machen - immerhin war es trocken. Das Netz der Görlitzer Straßenbahn besteht heute aus zwei Linien, die sich vom Neubaugebiet Königshufen über das Stadtzentrum, vorbei an der Altstadt bis zum Bahnhof eine gemeinsame Stammstrecke teilen. Im Norden teilt sich die Stammstrecke in zwei kurze Abschnitte mit jeweils nur einer bzw zwei Stationen während die Streckenäste südlich des Bahnhofs bedeutend länger sind. Samstags verkehren die zwei Linien bis zum späteren Nachmittag alle zwanzig Minuten, danach jede halbe Stunde. Entlang der Stammstrecke war so also rund alle zehn Minuten pro Richtung mit einem Wagen zu rechnen, da sollte man wohl einige Motive abklappern können. Die ersten Bilder des Tages wurden dann gleich in der Berliner Straße gemacht, der zentralen Fußgängerzone in der Innenstadt die den Bahnhof mit dem Postplatz verbindet. Auf halben Weg dorthin zweigt die Straßburg-Passage ab, eine klassische Ladenpassage aus dem Jugendstil. Sie führte direkt zu einer netten Bäckerei, wo es erst einmal ein kleines Frühstück gab. Auch auf dieser Seite der Passage am Wilhemsplatz beeindruckte die Stadt schon mit ihrer fast durchgehend mustergültig renovierten Gründerzeitarchitektur - gleichzeitig wirkte alles ein wenig zu großzügig für die heutige Bedeutung der Stadt. Hinter vielen Fenstern und Fassaden dürfte sich Leerstand verbergen. Potential hätte die Stadt aber auf jeden Fall genug.

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2316 als Line 1 zum NeißePark an der Haltestelle Hospitalstraße.


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2308 als Linie 1 nach Weinhübel in der Berliner Straße. Im Hintergrund der Postplatz.


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Die Straßburg-Passage. Übrigens so benannt nach ihrem Begründer und nicht nach der Stadt.


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Kunstvolles Eingangstor in der Jakobstraße.


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Landgericht, der Muschelminna genannte Brunnen und ein mächtiges Gründerzeitensemble am Postplatz.


Gestärkt durch das Frühstück wurde sich nun wieder der Straßenbahn zugewandt. Vorbei an der Frauenkirche führt die Strecke zum Demianiplatz, der zentralen Haltestelle des Görlitzer Nahverkehrs. Vor der Kulisse des prächtigen Kaufhauses Görlitz verkehren hier neben den zwei Straßenbahnlinien 1 und 2 auch die wichtigsten Buslinien der Stadt, A und B. Zwischen Postplatz und Demianiplatz befindet sich auch ein Gleisdreieck, das für Kurzführungen verwendet werden kann. Dieses konnte später am Tag noch im Betrieb bewundert werden. Der Demianiplatz liegt quasi am Eingang zur Altstadt, die sich von hier bis zum Neißeufer erstreckt. Hier zweigte die Strecke in den Westen der Stadt nach Rauschwalde ab, die etappenweise bis Ende der 80er Jahre stillgelegt wurde. Auch die Strecke über den Obermarkt zum Untermarkt im Herzen der Altstadt zweigte unweit von hier beim Reichenbacher Turm ab - diese wurde aber bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eingestellt.

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2308 als Linie 1 zum NeißePark passiert vom Postplatz kommend die Frauenkirche und biegt gleich auf den Demianiplatz ein.


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An gleicher Stelle ist 2317 in der Gegenrichtung als Linie 1 nach Weinhübel unterwegs. Im Hintergrund, am Eingang zur Altstadt, der Frauenturm oder Dicke Turm, ein Überbleibsel der alten Stadtbefestigung.


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Noch ein paar Schritte zurück wird am Postplatz 2313 als Linie 2 zum Wiesengrund abgelichtet.


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Und mit 2311 als Linie 2 nach Biesnitz/Landeskrone hätten wir nun alle vier regulären Endhaltestellen abgehakt. Im Hintergrund ist das Gleisdreieck am Postplatz zu sehen.


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In der Zwischenzeit ist 2308 wieder da, jetzt unterwegs als Linie 1 nach Weinhübel vor dem Gerhart-Hauptmann-Theater kurz vor dem Einbiegen auf den Demianiplatz. Im Hintergrund der Reichenbacher Turm.


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Viel los am Demianiplatz: Neben 2308 sehen wir auch 2316 als Linie 1 zum NeißePark sowie 6536 als Linie B nach Rauschwalde. Das Gebäude in der Mitte ist das Kaufhaus Görlitz, leider aktuell aufgrund unklarer Revitalisierungspläne geschlossen.


Vom Demianiplatz führt die Straßenbahn am Rande der Altstadt vorbei in Richtung Norden den Grünen Graben entlang bis zum sogenannten Heiligen Grab, einem Komplex in dessem Zentrum eine Nachbildung des Heiligen Grabs aus Jerusalem steht. Auf dem Weg dorthin quert die Straßenbahn einen interessanten, ampelgeregelten Kreisverkehr und führt dann nach der Haltestelle Heiliges Grab auf eigener Trasse in das auf einem Hügel gelegene Königshufen. Der Beginn dieser Neubaustrecke war ursprünglich ein Abzweig, die ältere Strecke führte weiter zum Städtischen Klinikum bis zur Virchowstraße. Aufgrund schlechten Gleiszustands wurde dieser relativ kurze Abschnitt aber 2007 eingestellt und durch die Buslinie B ersetzt. Heute ist von diesem Abschnitt nur mehr die Endhaltestelle in der Virchowstraße erhalten, die restliche Strecke wurde abgetragen. Der relativ dichte Takt (zwei überlappende 10-Minuten-Takte) in diesem Abschnitt erlaubte es, gemütlich die Strecke entlang zu spazieren und nach geeigneten Fotostellen Ausschau zu halten. Langsam machte sich am Himmel auch die Sonne bemerkbar, sodass sich sogar Möglichkeiten auf sonnige Fotos ergaben - natürlich immer mit dem entsprechend bangen Blick nach oben, ob nicht doch eine Fotowolke einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Und dann musste man natürlich auch noch auf Autos Acht geben, ganz so leicht ist die Straßenbahnfotografie dann tatsächlich nicht.

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2313 als Linie 2 nach Biesnitz/Landeskrone am Grünen Graben.


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Kurz nach Verlassen des Demianiplatzes ist 2309 unterwegs als Linie 2 zum Wiesengrund.


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Interessanter Kreisverkehr inklusive Ampelschaltung und Bevorrangung für die Straßenbahn.


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Vom Fuße des Grünen Grabens strebt 2316 als Linie 1 nach Weinhübel in Richtung Innenstadt.


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Interessante Überbauung eines alten Geschäftslokals. Eine der Bewohnerinnen war nicht so begeistert von meinem Treiben und hat mich anschließend vom Balkon aus wüst beschimpft...


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Die Firma Teich betreibt als Subunternehmer für den Omnibusverkehr Oberlausitz die Linie 65 zwischen Görlitz und Weißenberg.


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6521 ist auf der Linie B unterwegs zur Virchowstraße...


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...gefolgt von 2317 als Linie 1 zum NeißePark.


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2309 ist wieder zurück und unterwegs als Kurzführung zum Demianiplatz.


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Motivstudie am Heiligen Grab.


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In der Gegenrichtung sogar mit Bim: 2311 als Linie 2 zum Wiesengrund.


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2317 zum Demianiplatz biegt von der Neubaustrecke auf Eigentrasse auf die Heilige-Grab-Straße ein. Hier führte die Strecke zur Virchowstraße geradeaus weiter. Für die Neubaustrecke in Richtung Königshufen musste hier sogar ein Haus abgerissen werden.


Die Strecke ins Neubaugebiet Königshufen wurde ab 1986 etappenweise in Betrieb genommen. Ausschließlich auf Eigentrasse führt die Strecke vom ehemaligen Abzweig in der Heilige-Grab-Straße hinauf zum neuen Friedhof wo sich die Strecke an der Haltestelle Alexander-Bolze-Hof in zwei Äste zum Wiesengrund und zum Einkaufszentrum NeißePark teilt. Die Gegend ist in erster Linie von diversen Plattenbauten vom Typ WBS70 geprägt, die offenbar während der letzten Jahre großteils saniert und teileweise auch rückgebaut wurden. Insgesamt präsentiert sich das Viertel so sehr luftig und grün mit viel Platz zwischen den einzelnen Häusern. Die Steigungsstrecke hinauf zum Friedhof machte es motivlich nicht einfach, da auf der Sonnenseite kaum einmal ein Standpunkt auszumachen war - die Strecke verläuft hier entlang eines tieferliegenden Parks und einer Kleingartensiedlung. Die üblichen Fotowolken taten das ihre, sodass erst oben beim Friedhof wieder ein paar Motive gefunden. Dort fiel dann aber auch relativ rasch die Entscheidung, nicht noch länger bis zu den Streckenendpunkten zu marschieren, sondern mit der nächsten Straßenbahn zurück in die Innenstadt zu fahren. Dort war für den Nachmittag eine Parade zum Christopher Street Day angesagt die unter anderem über die Berliner Straße und weiter durch die Innenstadt bis über die Grenze nach Zgorzelec führen sollte. Dadurch wurde auch der Straßenbahnbetrieb zwischen Demianiplatz und Bahnhof Südausgang unterbrochen mit entsprechend interessanten betrieblichen Konsequenzen. Diese sollte man natürlich auf keinen Fall verpassen, wenn es der Zufall schon einmal so gut mit einem meint. Also wurde am Automaten an der Haltestelle Am Friedhof schnell ein Tagesticket gezogen (es hätte Ticketautomaten auch in den Straßenbahnen gegeben) und wenig später ging es schon auf zurück zum Demianiplatz.

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Von Königshufen herunter kommt 2311 zum Demianiplatz. Rechts das Areal des Kleingartenvereins "Morgenröte".


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In der Gegenrichtung unterwegs zum NeißePark als Linie 1 ist 2309.


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Auf dem Weg hinauf passiert man einen bunt renovierten Plattenbau.


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2317 als Linie 2 zum Wiesengrund auf den letzten Höhenmetern der Steigungsstrecke.


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Zugbegegnung an der Haltestelle Am Friedhof.


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Und 2309 zum Demianiplatz noch einmal in sonniger Großaufnahme.


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2317 ist wieder retour und wird mich ins Zentrum zum Demianiplatz bringen.


Am Demianiplatz beziehungsweise genauer gesagt am Postplatz konnte man nun Zeuge von absolut praktischer und pragmatischer Betriebsführung werden. Das Gleisdreieck hinter dem Postgebäude in Richtung Schützenstraße - hier führte früher die Strecke weiter in Richtung Stadthalle und über die Neiße in den Vorort Moys, das heutige Ujazd, das seinerseits Teil von Zgorzelec ist - fungierte aufgrund der Veranstaltung nun als Wendemöglichkeit für die Linien von und nach Am Wiesengrund und NeißePark. Die am Demianiplatz aus Norden ankommenden Straßenbahnen fuhren leer die paar Meter weiter zum Postplatz über die Weiche zum Gleisdreieck. Ein Mitarbeiter des Betriebsdienst hatte nun ein Auge auf die richtige Stellung der Weiche (und hätte wohl bei Bedarf auch von Hand nachhelfen können) und die Fußgänger ringsum während der Fahrer zum Behelfsführerstand auf der Rückseite des Fahrzeugs wechselte. Dann ging es auch schon über die Weichenverbindung ins Stumpfgleis in Richtung Schützenstraße. Ein weiterer Führerstandswechsel folgte und nach wenigen Minuten stand die Straßenbahn wieder am Demianiplatz bereit für die Fahrt in Richtung Königshufen.

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5514 als Linie A nach Zgorzelec Centrum vor der Frauenkirche.


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2317 macht sich am Postplatz für die Wendefahrt bereit. Man beachte das Liniensignal.


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Und schon geht es über die Weichenverbindung ins Stumpfgleis.


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Zielschild wieder richtig eingestellt und es kann wieder losgehen in Richtung NeißePark.


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Das Gleisende vor der Schützenstraße. Als letzter Warnhinweis sind kleine Metallprofile auf das Gleis aufgeschweißt.


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2311 macht sich zur Wende bereit...


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...schiebt zurück...


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...und wird nach dem Einstellen des richtigen Zielschildes wieder zurück nach Königshufen fahren.


Damit beschließe ich den zweiten Teil der Reportage, der nächste Teil wird dann die südlichen Abschnitte des Netzes behandeln.
Morteratsch - fermeda sün dumanda